Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre
Ein radikaler Blick in das Innere dessen, was man die Gedankenwelt des "kleinen Mannes" nennt. Die 90- minütige Zusammenstellung von Home-Movies, die der Wiener Krankenträger Peter Haindl zwischen 1993 und 1999 aufgenommen und dem Filmemacher Rainer Frimmel überlassen hat, sind ungewöhnliches Selbstportrait und beredtes Zeugnis eines zeitgenössischen Herrn Karl - eine dokumentierte Selbstentblößung, gleichermaßen politisch wie privat.
Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre - gesichtet und montiert von Rainer Frimmel - beschreibt, wenn man so will, den extremsten Punkt, an den Österreichs (Spiel-)Film stoßen kann, jenen Punkt nämlich, an dem aus dem Spiel mit Charme und Abgrund des Kleinbürgers endgültig Ernst wird.
(Stefan Grissemann)
So paradox die Geschichte dieses Videofilms ist, so paradox sind die Monologe von Peter Haindl, die er, von verschiedenen Positionen seiner Wohnung aus, emphatisch bis zerknirscht an ein imaginäres Publikum richtet. Jedes mal inszeniert er sich von einer anderen Seite, vom politischen Herrn Karl bis zum Dichter mit Schlapphut. Seine Reden kreisen um alltägliche Ressentiments, gegen Frauen und Ausländer etwa, und lassen sich doch nie auf eine Ansicht reduzieren. Durch Selbstironie und Widersprüchlichkeiten relativiert er die Gemeinplätze wieder, bugsiert die Tirade dann in Richtung einer Analyse. Das Pandämonium der österreichischen Seele präsentiert sich als rhetorischer Irrgarten.
(Dominik Kamalzadeh)
Ein Mann zeichnet sich selbst in Bildern auf, für die Nachwelt, wie er sagt, er dokumentiert Innenleben und Außenansicht seiner selbst, zwischen 1993 und 99, am Sofa im Wohnzimmer, am Schreibtisch, im Fauteil. Exhibitionistisch posiert er ohne Hemd, und nebenbei liefert er von daheim aus ein erstaunlich schlüssiges Bild vom Leben in Österreich in den 90er Jahren. Peter Haindl – ein Mann über 50, Heimkind, LKW-Fahrer, Krankenträger: Portät des Arbeiters als einsame Größe.
"Als mein Vater noch im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte seinem Kindweib beiwohnte, da lies er all seine Bosheit, die Verachtung für seine Mitmenschen und seinen Zynismus mit seinem Samen in sie hineinfließen. Hätte nicht sie mit ihrer Sanftheit, Güte und Duldsamkeit einen Ausgleich geschaffen, fürwahr das Produkt wäre ein Monster geworden. Dieses Produkt war sein erster Sohn und dieser war ich."
Peter Haindl "Einfach dahingelebt"
(polyfilm.at)
Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre
Ein Mann zeichnet sich selbst in Bildern auf, für die Nachwelt, wie er sagt, er dokumentiert Innenleben und Außenansicht seiner selbst, zwischen 1993 und 99, am Sofa im Wohnzimmer, am Schreibtisch, im Fauteuil. Exhibitionistisch posiert er ohne Hemd, und nebenbei liefert er von daheim aus ein erstaunlich schlüssiges Bild vom Leben in Österreich in den 90er Jahren.
Peter Haindl - ein Mann über 50, Heimkind, LKW-Fahrer, Krankenträger: Porträt des Arbeiters als einsame Größe.
Die Videokamera Haindls wackelt eingangs mit suchendem Blick durch die Wohnung, in Zooms und Unschärfen führt er seinem anonymen Zuschauer stolz den "Riesenfernseher", die Küche mit Mikrowelle und das Schlafzimmer vor, alles im Detail, versteht sich. "Acht Fetzen" habe etwa die Matratze gekostet, aber die Investition habe sich schon gelohnt. Die Stimme aus dem Off leitet durchs Schmuckkasterl, wo alles paßt, alles im Lot ist. Das "Gartl" rückt ins Bild, ein "Zimmerl" und ein "Viecherl" nach dem anderen, und wenn er von sich selbst spricht, nennt sich der Filmemacher "Peterl". Das Diminutiv macht die Welt überschaubar und die Komplikationen des Lebens erträglich.
Der Hausbegehung folgt das Selbstporträt: Peter Haindl nimmt Platz und beginnt mit der Kamera (also sich selbst) zu sprechen, geht mit dem Leben an sich und schonungslos auch mit dem eigenen ins Gericht. Er plaudert und flucht, raunzt und politisiert, rezitiert mit Hemingway-Hut selbstverfaßte Lyrik, und später singt er, zunehmend erregt, die alte Ballade von Unseren Steuergeldern und Zu vielen Ausländern. Die Stirn sorgenvoll in Falten gelegt steigert sich Haindl in Sexismus und Rassismus hinein: Ein echter Wiener geht vielleicht nicht unter, aber wirklich wohl fühlt er sich offensichtlich nicht in seiner Haut und seiner Stadt.
Die Kamera ersetzt ihm den Spiegel, den Text, den er für seine Videoaufzeichnungen findet, könnte man ungekürzt, ohne jegliche Nachbearbeitung, auch als dramatischen Monolog auf die Bühne stellen. Qualtingers Herr Karl ist Wirklichkeit geworden. Peter Haindls Aufzeichnungen - gesichtet und montiert von Rainer Frimmel - sind, wenn man sie als Film nimmt, die logische Weiterführung bestimmter thematischer Vorlieben im österreichischen Kino, einer seit Jahrzehnten im Bau befindlichen Austro-Folklore in Film, Funk und Fernsehen: die Reinkarnation des Edmund Sackbauer, eine bittere Extension der Prolo-Etüden des Harald Sicheritz, eine Erweiterung der Hausdurchsuchungen des Ulrich Seidl. Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre beschreibt den extremsten Punkt, an den Österreichs Film stoßen kann, jenen Punkt nämlich, an dem aus dem Spiel mit Charme und Abgrund des Kleinbürgers endgültig Ernst wird.
(Stefan Grissemann)
Aufzeichnung aus dem Tiefparterre
Ganz unten im Tiefparterre eines Wiener Wohnhauses sind wahre Schätze verborgen. Das glaubt zumindest Peter Haindl und beschreibt in seinen Video-Aufzeichnungen der Jahre 1993 bis 1999 ein Wiener Original: sich selbst. Der österreichische Pionier der Reality-Doku ist ein "reifer Mann" aus der Arbeiterklasse, von den Frauen nach eigenen Angaben "geliebt" und "ausgenutzt". Heute genügt er deswegen sich selbst. Am eigenen gut-gefüllten Leib (Zitat: "Ich ess´ gern!") demonstriert Big-Brother-Haindl lustvoll, was es bedeutet Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller in den eigenen vier Wänden zu sein. Haindl spielt nicht kokett mit der Kamera, seiner stummen, elektronischen Chronistin, sondern erzählt ihr schonungslos die nackte Wahrheit. "Dinge, die man heutzutage gar nimmer sagen derf", aber spricht Haindl direkt an. Die Kameralinse blinzelt nicht einmal, wenn Haindl sich über das "kriminelle Ausländerpack, die Nega und Tschuschen" beschwert, die Steuergelder angeblich verpassen und nicht einmal so gut Deutsch können, dass sie die Worte "Auslage in Arbeit" von "Ausländerarbeit" unterscheiden können.
Vor der Kamera präsentiert er sich einmal mit Toupet, meistens jedoch ohne (weil oben ohne einfach "sexier" ist), meistens mit Hemd und einmal ohne. Der Bierbauch bleibt. Das Auge des Betrachters - und sei es das des eigenen Enkerls - darf ruhig zu einem späteren Zeitpunkt über die tätowierte Brust fahren und staunen. Haindls Reality-Doku kommt ohne von TV-Experten in stundenlangen Castings ausgewählten blonden Tussis mit Cowboy-Hüten oder durchtrainierte Muskelprotze aus. Muskeln hat Haindl selbst genug, da er doch in seiner "Glanzzeit" als LKW-Fahrer mehrere Tonnen diverser Lieferungen verladen hat und auch in seinem Job als Krankenträger im AKH täglich Personen von über 80 Kilogramm Körpergewicht "treppauf-treppab" schleppt.
Wirklich geliebt hat Haindl nur seinen verstorbenen Pekinesen, was Fotos an der Wohnzimmerwand und selbst-verfasste Lyrik beweisen. Kann sogar vorkommen, dass Haindl den Wellensittich "Arschloch" nennt, denn das "Viecherl" kann ja "net amal sprechen, sondern nur alles vollscheißen". Haindl, der Mann aus dem Wiener Untergrund, nimmt sich nicht gern ein Blatt vorm Mund. Wer das Extreme liebt, sollte den Abstieg dorthin wagen. Rainer Frimmel hat das exklusive Material gesichtet, montiert und ungekürzt, ohne jede Nachbearbeitung, auf die Leinwand gestellt.
(Catherine Holzer)
Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre
1993 - 2000
Österreich
90 min