ONE YEAR LATER - Interviews and Radio
Der Reisebericht als Seismograf nationaler Befindlichkeiten: Niki Lerchs ONE YEAR LATER Interviews und Radio folgt einer simplen Versuchsanordnung, um die Traumatisierung der amerikanischen Öffentlichkeit nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 zu erkunden. Ein Jahr nach der Katastrophe fährt der Regisseur die US-Westküste ab und lotet stichprobenartig die Nachwirkungen aus, die 9/11 nicht nur im offiziellen Gedenkdiskurs, sondern auch im individuellen bzw. assoziativen Gedächtnis hinterlassen hat. Dabei kombiniert er bewusst klischeehaft wirkende Super 8-Bilder aus Hollywood, Las Vegas und San Francisco, allesamt aus dem fahrenden Auto aufgenommen, mit Ausschnitten aus Radiosendungen rund um den Jahrestag: die Ansprache des Präsidenten, Berichte von Gedenkfeiern, Werbeeinschaltungen allesamt nationale Erbauungsformeln wiederkäuend. Sehenswürdigkeiten und Landmarks huschen vorüber, während die wiederholt dazwischen geschnittenen Flugzeuge Zeichen einer omnipräsenten Bedrohung in die Landschaft malen. Dazwischen hört und liest man weiß transkribiert auf schwarzem Hintergrund anonyme Interviewpassagen, die individuelle Erschütterungsgrade festhalten. Mehrheitlich von Kriegsskepsis, teils auch von blinder Ohnmacht geprägt, widerspricht dieses Sampling der vox populi dem offiziell verordneten Patriotismus, kündet aber auch von inneren Zerrissenheiten: Ihr habt uns richtig wütend gemacht, wie einen Boxer, der aus der Nase blutet
aber das will ich nicht! Die Reise endet stumm an jenem Ort, der historisch mehrdeutig die nationale Tragödie wie kaum ein anderer allegorisiert: Monument Valley, wo heute die Nachfahren jener Navajo leben, die einst dem Imperialismus des weißen Mannes zum Opfer fielen.
Die Fahnen wehen hier, mit oder ohne 11. September, nicht umsonst auf Halbmast.(Christian Höller)
ONE YEAR LATER - Interviews and Radio
2003
Österreich
17 min