Schatten
Während ein junger Mann auf einem Ferienaufenthalt seine Freundin filmt, bemerkt er mit seiner Kamera im Bildhintergrund eine Frau, die sich scheinbar von einer Brücke stürzen will. Wenige Augenblicke und einige aufgeregte Kamerawackler später ist die Frau aber spurlos verschwunden. Zwischen den Aufnahmen, dem Davor und Danach, der Präsenz und plötzlichen Absenz der Frau im Hintergrund, entspinnt sich die Frage, was eigentlich passiert ist.
Das Thriller-Genre ist voll von Momenten der Überidentifikation mit traumatischen, wiewohl wunschbesetzten Bildern, die zur mentalen Degeneration ihrer Protagonisten führen. In Schatten geht es jedoch um das eigentliche Fehlen eines solchen Bildes. Das fehlende Bild-Ereignis im Dazwischen, der Zwischen-Fall, wird für den Protagonisten (Alexander Pschill) zur fixen Idee: Obsessiv versucht er, die Lücke im Bilderfluss zu füllen, beginnt ein Videotagebuch, filmt schlafende Hotelgäste in benachbarten Zimmern aus obszöner Distanz, versucht, seine Freundin Klara (Annett Renneberg) in sein voyeuristisches Blickregime zu zwängen. Die Bilder, die von seiner Kamera produziert werden, infizieren ihn schließlich völlig und setzen sich bis zur fatalen Konsequenz an die Stelle seines Bewusstseins.
Markus Engels obskures Thriller-Fragment vertraut ganz auf die Unheimlichkeit eines autonom gewordenen Kamera-Bewusstseins: Das Ding, das filmt (die Apparatur) produziert defekte, verwischte Gedächtnisspuren, generiert Leerstellen und tote Zeit und gewinnt aus der artifiziellen verrauschten Materialität von Digital Video seine irritierende Spannung. In diesem Sinn darf Schatten durchaus als avanciertes Genre-Stück mit einfachsten digitalen Mitteln gelten. Wenn heute Kameras alles sehen und kontrollieren können, ist vielleicht das, was sie nicht gesehen haben, der bessere Stoff für einen Horrorfilm.
(Michael Palm)
Schatten
2004
Österreich, Deutschland
22 min