Kanegra
Wunschträume, Gedankenspiele, Bewusstseinsspiegelungen. Kaum ein Ort gibt so viel Anlass zur Selbstversunkenheit wie das Meer. Diese Erfahrung bildet den Ausgangspunkt für Katharina Coponys eigenwillige Interviewserie. Einmal jährlich unternimmt das "Grazer Beratungszentrum für psychische und soziale Fragen" in der Vorsaison eine Urlaubsreise nach Kanegra, in jene Feriensiedlung im Norden Kroatiens, die der Filmemacherin als Schauplatz ihres dokumentarischen Stimmungsberichtes dient. Fünf grundverschiedene Personen porträtiert sie mit der Kamera, versucht ihre momentanen Befindlichkeiten zu erkunden. Es ist aber weniger die Neugier auf einzelne Schicksale, die dabei im Vordergrund steht, als vielmehr die Frage, inwiefern sich die Fremde, das geographische Anderswo auf Menschen abfärbt, deren Alltag weitgehend von sozialer Isolation bestimmt wird. Coponys dramaturgisches Modell ist denkbar einfach wie komplex. Sie befragt ihre GesprächspartnerInnen getrennt, abgegrenzt voneinander: Kontaktarmut und Ich-Zentrierung prägen auch an der Adriaküste deren Verhaltensmuster - selbst in der (Reise-)Gruppe, wie die eingeschobenen Urlaubseindrücke atmosphärisch versinnbildlichen. Das Gefühl von Gemeinsamkeit, welches dieser Aufenthalt vermitteln soll, wirkt trostlos und tröstlich zugleich.
Kanegra ist kein pessimistischer Film, verschanzt sich nicht hinter einem zwiespältigen Sozial-Voyeurismus. Er trachtet nicht nach psychologischem Mehrwert, will keine pädagogischen Schlüsse ziehen. Copony nimmt ihre ProtagonistInnen ernst, und somit die sensibilisierten Weltsichten, die ihnen zu eigen sind. Dem Meer als visuelle Leitmetapher hingegen, gibt sie keine tragende Rolle.
Aber es ist präsent, immer wieder: als spürbare Introspektionsquelle ihrer gar nicht so auskunftsscheuen Reisebekanntschaften.
(Lukas Maurer)
Was löst eine Reise in die Fremde in jemanden aus, der zu Hause, in seinem Alltag in gewisser Weise auch ein Fremder ist? Was bedeutet überhaupt Fremde, Fremdsein oder Sich-selbst-Fremdsein und was empfindet man als normal? Meine GesprächspartnerInnen antworten darauf mit Gedanken- und Sprachspielen, Assoziationsketten, Beobachtetem, Erlebtem und Erdachtem. Einzeln, jede und jeder für sich, erzählen sie von ihren inneren und äußeren Weltansichten. Gerade die Einsamkeit, das Voneinander-abgegrenzt-Sein ist es, was ihnen gemeinsam ist. Meine Absicht war es, ihnen selbst das Wort zu überlassen, ihren Gedanken zu folgen, um dabei weniger auf das Fremde, Andere als vielmehr auf Vertrautes und Nachvollziehbares, das ungesehene Eigene zu stoßen.
(Katharina Copony)
In Kanegra, einem Ferienort an der kroatischen Adriaküste, macht eine Gruppe von Patienten des Grazer Beratungszentrums für psychische und soziale Fragen jeden Sommer Ferien. Die junge Grazer Filmemacherin Katharina Copony war heuer dabei und hat einen Film gedreht, der am 28. November in 3Sat gezeigt wird.
Meer, Strand, Pinienwald, eine Bungalow-Siedlung aus den 60er-Jahren; es ist Mitte Juni, die Gäste sind noch rar. Hierher unternimmt das "Beratungszentrum für psychische und soziale Fragen" mit einer Gruppe von Patienten alljährlich eine einwöchige Reise. Für viele der Teilnehmer, die an chronischen psychischen Erkrankungen leiden, ist dies die einzige Möglichkeit, ihrem Alltag zu entfliehen.
Katharina Copony hat die außergewöhnliche Reisegruppe auf ihrem Ausflug ans Meer begleitet. Sie hat teilgenommen an den Tagesabläufen und an den inneren Reisen ihrer Protagonisten.
Christian, Gert, Karin, Richard und Renate haben ihren eigenen Blick auf den Ferienort; ihren Eindrücken, Assoziationen und Gedankenspielen gibt der Film Raum. Ihre Unangepasstheit, ihre Phantasie und ihre eigenwillige, oft poetische Sprache lassen ihre Probleme zeitweilig vergessen.
Katharina Copony ist Absolventin der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Kanegra ist ihr zweiter Film. Er wurde in Zusammenarbeit mit 3sat-ZDF produziert und am 9. November auf der "28. Duisburger Filmwoche", dem wichtigsten Festival des deutschsprachigen Dokumentarfilms, uraufgeführt.
(ORF.at)
Kanegra (texte français)
Kanegra n'est pas un film pessimiste, il ne se retranche pas derrière un voyeurisme social ambigu. Il n'aspire à aucun bénéfice psychologique, ne tente pas de tirer des conclusions pédagogiques. Copony prend ses interlocuteurs au sérieux et, par là même, les conceptions du monde sensibilisées qui leur sont propres. Quant à la mer, métaphore visuelle servant de fil conducteur, elle ne joue pas un rôle prédominant. Mais elle est présente, à maintes reprises : comme source d'introspection pour ses connaissances de voyage plutôt communicatives. (Lukas Maurer)
Traduction: Françoise Guiguet
Kanegra
2004
Österreich
50 min