Vom Innen; von aussen
In Vom Innen; von aussen animiert Albert Sackl den eigenen, unbekleidet in einer Blackbox stehenden Körper durch eine Serie in der Kamera ausgelöster Einzelbilder. Dabei choreografiert Regisseur Sackl den Bewegungsablauf des Modells Sackl bis ins Kleinste, dreht den unbeteiligt in Habachtstellung stehenden Körper um die eigene Achse und wieder zurück; später, unter stroboskopischem Flackern, sich und den eigenen Doppelgänger gegenläufig nebeneinander: das Flackern vom Wechsel der Einzelbilder rührend: einmal links auslösen, einmal rechts.
Als würde dem Apparat selbst diese starre Anordnung irgendwann zu viel, schwenkt die Kamera gelegentlich aus der neutralen Box heraus, durchs Atelier und zu einem Wandspiegel, wo man den Hauptdarsteller emsig hin- und herflitzen sieht. Experimentalfilme, die handwerklich derart präzise sind und außerdem noch Humor haben, sind eine seltene Sache.
Vorderansichten des Körpers im fliegenden Wechsel mit Rückansichten, bis beide in einem Trompe-oeil-Effekt verschwimmen: Vor unseren Augen entsteht ein perspektivisch unmögliches Wesen, das fremd und zugleich vertraut erscheint.
Wenn Vom Innen; von aussen schließlich das Atelier verlässt, um die Versuchsreihe im Freien, zwischen Sträuchern und mit bloßen Sohlen auf Schnee und Eis, fortzusetzen, wird klar, dass Sackls Experimentierlust mehr ist als eine rein ästhetische Entscheidung. Während im Hintergrund der Wind die ganze Waldlandschaft in Bewegung setzt, während die Sonne flackert und das Dämmern zum Dunkel wird, animiert die Kamera Sackls Körper stoisch weiter, lässt ihn zu sich wandern und wieder davon, als lebe er in einem anderen, parallelen Kosmos, der, abgekoppelt von Uhr- und Jahreszeit, ganz eigenen, mechanischen Gesetzen unterliegt.
Etwas von außen zu betrachten, dabei aber vom Innen zu erzählen: eine mögliche Definition von gelungenem Kino.
(Maya McKechneay)
Ein Körper im Raum, die Haltung aufrecht. Der Mensch ist nackt, der Raum anfangs leer, undefiniert, eine Camera obscura. Sackl filmt allein die äußere Erscheinung. Aber er zeigt, das Aussen, dass sich in das Innere hineinwebt, wie etwa das Licht, das in das Innere einer Camera fällt. (Achim Lengerer)
Žtime offset, phase signaturesŽ von David Komary
Žtime offset, phase signaturesŽ
Ausstellung in der Gallerie dreizehnzwei, Wien, Juni/Juli 2007
Künstler: Arnold Reinthaler, Albert Sackl
Ausstellungskonzeption: David Komary
[...] denn das, was wiederholt wird, ist gewesen, sonst könnte es nicht wiederholt werden,_aber gerade daß es gewesen ist, macht die Wiederholung zu etwas Neuem."1 (Kierkegaard)
Zeit - eine von Raum und Wahrnehmung unabhängige Dimension ontologischer Realität? Der Titel der Ausstellung time offset, phase signatures" entlehnt einen Begriff aus der Chronometrie. Time offset" bezeichnet die Differenz zweier Zeitmesssysteme, genauer gesagt zwischen einem gemessenen Signal und einem Referenzsignal. Bekannter ist das Phänomen als Zeitzonendifferenz, als eine Zeitverschiebung" im Übergang von einer Zeitzone in eine andere. Hier zeigt sich exemplarisch das komplexe Verhältnis von Zeiterfahrung beziehungsweise Zeitbewusstsein und Zeitmessung.
Übertragen auf den Kontext der Ausstellung ließe sich der Begriff time offset" nun phänomenologisch gewendet als Zeit-Differenzial zwischen mechanisch-metrischer Zeitlichkeit und individueller Zeitwahrnehmung und Zeiterfahrung denken. Phase signatures" wären dann die Spuren dieser Divergenzen. Spuren und Interferenzen zwischen Zeitmessung, Zeitvorstellung und Zeitwahrnehmung.
In der Frage nach dem Verhältnis von Zeit, Medien und Subjekt formulieren die Künstler Arnold Reinthaler und Albert Sackl Topologien des Zeitlichen im Kontext medientechnologischer, phänomenologischer sowie gesellschaftsgeschichtlicher Bestimmung. Die Künstler verfolgen hinsichtlich ihrer Untersuchungen der Reziprozität von (Zeit-)Medien und Wahrnehmung dabei gänzlich unterschiedliche Strategien: Zum einen rituell-repetitive Aufzeichnungen alltäglicher Handlungen, sowie die Frage nach der kleinsten chronometrischen Einheit (Sekunde) als kulturell verbindlicher Zeithorizont bei Reinthaler. Zum anderen die differenzielle Synthese" einzelbildlich arretierter Zeit- und Bewegungsabläufe im Film bei Albert Sackl.
Eine wesentliche Gemeinsamkeit trotz der Unterschiedlichkeit der Ansätze liegt in der medienreflexiven Befragung explizit analoger, mechanischer, geradezu anachronistischer" Medien: 16 mm-Film, Papier, Stein. Ästhetisch gemeinsam ist den Künstlern das Interesse am Intervall, an der Differenz bzw. dem Vexieren von Nicht-Zeit in Zeit, sowie von normierter, symbolisierter Zeit und Zeit der Eigenwahrnehmung. Beide Künstler arbeiten hierzu mit Unterbrechungen in der Syntax medial vermittelter Zeitlichkeit. Sie evozieren time slice effects", Momente temporaler Indeterminiertheit, in denen sich Zeit weniger am oder im Sichtbaren, sondern zwischen den Momenten des Sichtbaren konstituiert.
Das Interesse an der Rückkoppelung medial vermittelter Zeitlichkeit mit der eigenen Wahrnehmung zielt hierbei jedoch nicht auf die Konfrontation von temps mécanique" und temps vécu" (Bergson), sondern gilt den inhärenten Möglichkeiten des jeweiligen Mediums (Film, Bildhauerei), den eigenen medialen Zeithorizont zu überschreiten und zu transzendieren. Reinthaler und Sackl thematisieren in diesem Sinn chronometrische und chronomodulare Medientechniken (Digitalisierung der Zeitmessung, kinematische Zeitwahrnehmung) als der Wahrnehmung bzw. dem kognitiven Apparat durch soziokulturelle Anpassung eingelagerte Strukturierungsmechanismen. Niklas Luhmann beschreibt kommunikations- bzw. systemtheoretisch die symbolische Synthese der Zeitbegriffe als eine Temporalisierung von Komplexität, die somit stets dem geschichtlichen Wandel unterliegt. So etwa musste Zeit mit dem Umbau zur neuzeitlichen Gesellschaft stärker auf Komplexität, Ereignishaftigkeit und Relationierbarkeit abstellen".2 Zeitwahrnehmung und Zeitbewusstsein erscheinen in dieser soziologischen Kontextualisierung stets als perspektivierte Konstellation, als heterogenes Gefüge aus Zeitzeichen, Zeitschichten und Zeitlinien.
Das Tagebuch als mechanisch-kybernetisches Protokoll? Eine schmale Rolle Endlospapier bildet das Trägermedium der temporal translation" von Arnold Reinthaler. Der Künstler hält darauf - gleich einem täglichen Ritual - Tätigkeiten seines Tages in zwölf Kategorien mittels einer mechanischen Schreibmaschine fest. Reinthalers Zeiteinheit wird hierbei von einem einfachen typografischen Zeichen symbolisiert: ein Strich steht für eine Stunde Lebens- bzw. Handlungszeit. Die Kategorien sind Essen, Schlafen, Kommunikation usw. Der Strich figuriert die temporale Kleinsteinheit in Reinthalers Chronometrie.
Der Künstler konfrontiert in dieser Zeitsemiose komplementäre Gedächtnismodelle. Er stellt der Individualität des Erinnerns die metrisch-lineare Aufzeichnung eines analog-mechanischen Speichermediums gegenüber. Biographische werden in semantisch-lexikalische Einheiten konvertiert. In dieser Reduktion schlägt sich die Arbeit mehr auf die Seite der Infrastruktur von Macht (Verwaltung), denn auf Seiten anthropologischer Bedürfnisse nach Verzeitlichung der Erfahrung."3
Anstelle der Repräsentation von Eigenzeit"4 der aufgezeichneten Handlungen avanciert vielmehr die rituelle nachträgliche Aufzeichnung (Schreibzeit) zur eigentlichen Mnemotechnik Reinthalers. Gerade durch die Indifferenz der übersetzenden Zeichen kommt es zur Bildung einer Reihe, einer Chrono-Logie. Es ist diese Formation einer Zeitzeichenkette, welche die Fortsetzbarkeit erst vorstellbar macht. Nur so kann zukünftige, noch unstrukturierte Zeit imaginiert bzw. projiziert werden. Gerade in der Nicht-Sichtbarkeit und den Auslassungen biographischer Spuren formiert die reduktive Symbolisierung der Ereignisse bzw. Handlungen ein Differenzial des Zeitlichen: Zeit erscheint als eine Dimension der Bestimmung von Sinn"5, sprich als Prozess permanenter und stets gegenwärtig ablaufender Konstitution und Antizipation von Zukünftigem aus dem Erinnerten.
Wiederholung und Erinnerung stellen die gleiche Bewegung dar, nur in entgegengesetzter Richtung; denn, woran man sich als Gewesenes erinnert, das wird in rückwertiger Richtung wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung Erinnerung in Richtung nach vorn ist."6 Das repetitive und ritualisierte Aufzeichnen wird somit als eine Technik der (projektiven) Selbstvergewisserung lesbar. In diesem Verständnis ist auch nicht von Bedeutung was, sondern dass eine Handlung vollzogen wurde. Temporal translation" erscheint somit weniger als Logistik und Analytik zeitlicher Semantik, sondern als ein Repetitionsritual, das Zeit mittels der Relektüre von Vergangenem zu modellieren und figurieren vermag. So kann, im Sinne Kierkegaards, Vergangenheit durch Wiederholung in die Zukunft hineingetragen, quasi nach vorn erinnert werden. Gerade die ästhetische Indifferenz und Gleichförmigkeit der chronometrischen Einheiten in Reinthalers Zeitsemantik evoziert schließlich die (vermeintlich) sichernde Illusion von Fortsetzbarkeit des eigenen Projekts.
In within a second" fragt Reinthaler nach der uns geläufigsten chronometrischen Kleinsteinheit, der Sekunde. Wie lässt sich eine Sekunde be-greifen", wie sich modellieren"? Reinthaler übersetzt in dieser Arbeitsserie hierzu eine Sekunde digitaler Zeitlichkeit (etwa: 19:13:25") in Stenografie, um anschließend den Schriftzug in Stein zu gravieren. Die Sekunde erscheint zeitlich arretiert, sie wird in die überzeitliche" Materialität des Steins transkripiert, sozusagen auf Dauer stillgestellt und zeitlos" konserviert. In diesem Changieren zwischen ontologischen Fragen zur Zeitlichkeit und ihrer Symbolisierung inszeniert Reinthaler die Fixierung eines zeitlichen Moments als semiotische Paradoxie - denn Steno dient eigentlich dezidiert einer schnellen, quasi beschleunigten Form des Schreibens - ganz entgegen der medialen Spezifika des ältesten mnemotechnischen Mediums: des Steins. In der Bildung der Serie graviert der Künstler nun genauer betrachtet nicht die Symbolisierung einer Sekunde, sondern vielmehr den Übergang von einer Sekunde zur nächsten. Die dazwischen liegende Nicht-Zeit" wird dabei als Auslaufen der Stenografie in Form einer Linie notiert. Die Zeitsemiose führt sich in dieser Transkription freilich ad absurdum. Schon in der mehrfachen Überlagerung und Durchdringung von repräsentierten und symbolisierten Zeitschichten (Zeit - Digital - Steno - Stein) erweist sich Zeit als ein System kultureller Codierung und Symbolisierung und somit per se soziohistorisch konstituiert.
Reinthaler dekonstruiert folglich die Idee linearer Zeitlichkeit und stellt ihr schließlich eine phänomenologische Konzeption der Zeitlichkeit gegenüber, die sich aktual, sprich in der prozessualen Wahrnehmung der BetrachterInnen vollzieht: Im begehbaren Raum der Installation der Steintafeln wird der bzw. die BetrachterIn, indem er/sie an den Sekundentafeln quasi in Echtzeit" (1 Meter gleich 1 Sekunde) vorbeigeht, zum potentiell lebendigen" Zeitmesser. Die Bildserie inszeniert sozusagen als installative Konstellation eine begehbare, wenngleich dysfunktionale Uhr. Die Kinästhetik des Körpers ermöglicht die Performanz" der Zeit selbst._So führt die Befragung des Zeitlichen in diesen Arbeiten Reinthalers von der abstrakten metrischen Zeiteinheit der Sekunde zur Transfiguration in den Prozess der Schreibzeit (Gravur) und koordiniert sich schließlich mit der Rezeptionszeit der BetrachterInnen. Hierin formuliert sich ein Zeitbegriff, der die ästhetische Wahrnehmung - durchaus wiederum im Sinne einer Selbstvergewisserung - privilegiert. Zeit wird von Ereignissen abgeleitet und nicht umgekehrt.7
Albert Sackl fragt im 16 mm-Film Vom Innen; von aussen" nach den reziproken Verhältnissen zwischen Kamera, Bild, Blick und Bildgegenstand". In einem modellhaft-exemplarischen Set aus Kamera, Körper, Licht und Raum sowie mittels der Kombinatorik einfachster und elementarster filmischer Parameter inszeniert Sackl den eigenen Körper in analytisch zerlegter Bewegungsfolge, als ein Staccato arretierender Zeitschnitte. Angehaltene und kontinuierliche Bewegung stehen stets in einem dialektischen Verhältnis.
Die archaische", präkinematografisch wirkende Inszenierung Sackls zeigt den Körper in Habt-Acht-Stellung, sozusagen ohne eigene Bewegungsenergie. Der Körper oder genauer: das Laufbild des Körpers wird nun durch die Folge der Bewegungsschnitte Bild für Bild um die eigene Achse gedreht, nach links und rechts verschoben, später dann mit sich selbst überlagert, multipliziert und vervielfältigt.
Die Bildfolge des gesamten Films ist hierbei stets streng chronologisch. Einer Einzelbildaufnahme entspricht exakt eine Körperpose oder umgekehrt: jeder Körperstellung entspricht ein Bild. Eine performative Analytik der Bewegung. Weder gibt es Doppelbelichtungen noch Auslassungen oder aber nachträgliche Einschübe von Aufnahmekadern. Die zeitliche Semantik von Aufnahme und Projektion ist demnach gleicher Struktur, sprich streng chronologisch, und in der Zeitrichtung unumkehrbar.
Zu Beginn des Films schließt nun ein Bild noch bewegungslogisch an das vorhergehende an. Doch diese vermeintliche Kontinuität führt bald zu Diversität und Divergenzen: Im Laufe des Films geschieht eine Verdichtung synchroner Multiperspektivität, das Bild der einen" Person scheint sich zu verdoppeln, zu vervielfachen, teilweise auseinanderzulaufen und zwischen Vorder- und Rückansicht des Körpers umzuschlagen. Sukzession konvertiert in Simultanität. Das Bild formatiert den Referenten in ein akzidentielles und dissoziiertes Phänomen um, in ein ephemeres Phantom, das zwischen visueller Latenz und Absenz changiert.
Der Künstler unterwandert permanent die Schwellenwerte der Dauer des kinematischen Blicks", er bricht somit jegliche kausale Bewegungslogik. Sackl konfrontiert die BetrachterInnen zunehmend mit den Trägheiten der retinalen Perzeption, den konstitutiven Grenzen der optischen Wahrnehmungskapazität und legt somit die filmisch-synthetische Grammatik offen. Der Film wird als kognitives Differenzial lesbar: im Sehen werden die Grenzen des Sehens selbst wahrnehmbar.
Dem gesehenen bzw. beobachtbaren Film ist somit ein quasi inverser Film eingeschrieben, ein Film der Auslassungen. Das Intervall, das hier in die Zeit einbricht, verwandelt die Szene in einen geradezu halluzinatorischen Raum. Die Intervalle, die Übergänge von einer Bewegung zu einer anderen, bilden das Material, die Bestandteile der Kunst der Bewegung; keinesfalls die Bewegungen selbst."8 Das Intervall zeigt" sich somit, so Maurizio Lazzarato mit Vertov, als der nicht-bildhafte Untergrund, der deterritorialisierte Strom der Entfaltung der Bilder. Es lässt sich nicht auf ein Bild oder eine Bewegung reduzieren, es ist deren Quelle und Ursprung. Es ist das, was sich innerhalb des Sichtbaren nicht auf Diskursives oder Figuratives beschränken lässt."9
Der Wahrnehmung filmischer Dauer und Kontinuität stehen somit stets die Diskontinuitäten der Bewegung entgegen. Sie stören den Blick aufs Objekt", welches sich eben als Zusammengesetztes, als kognitive Syntheseleistung des Betrachters und nicht als analog-indexikalische Spur zu erkennen gibt. Sehen bedeutet hier ein akzidentielles" anstelle eines substantiellen"10 Sehens.
Bild und Bildgegenstand (sprich Körper) sind in diesem visuell-kybernetischen Systemraum somit nicht zu trennen. Sie bilden einen closed circuit - in Analogie zu Kamera und Projektor. Innen" und Außen" werden quasi im Selbstversuch ineinander und miteinander gekoppelt und verschränkt. Der Film wird zu einer Handlungsfläche des Blicks, in dem apparatives und mentales System stets reziprok aufeinander bezogen erscheinen. In diesem visuellen Dispositiv ist das Subjekt weder Sehendes noch Gesehenes; es macht sich selbst sehen".11
Folglich geht es auch eben nicht um die bloße Abbildung", sondern um die Konstitution und Konstellation des Subjekts im und durch den Blick. Nicht eine essenzialistisch-verdinglichte, körperlich-physische Subjektentität ist hier von Interesse, sondern das komplexe Feld perzeptiv-medialer Kurzschlüsse jenseits einer reduktiven Binärität eines introvertierten Innen" versus einem unabhängigen Außen".
In diesem Sinne interferieren in Albert Sackls Film zwei Formen der Zeitlichkeit bzw. der Zeitwahrnehmung: die repräsentierte" Temporalität des abgebildeten" Körpers, sprich der Prozess des Alterns, steht der kinematisch konstituierten Zeitlichkeit der perzeptiven Synthesen gegenüber. Die Bilder, die sich nur dem Abstands- oder Intervallphänomen verdanken, werden zu Zentren der Indeterminiertheit" im nichtzentrierten Universum der Bewegungsbilder."12 Das kinematische Zeitbild entwirft ein komplexes Gebilde, indem sich verschiedene Partikel oder Schichten von Zeit durchdringen, Zeit also zur selbstständigen Form innerhalb der figürlichen Welt wird".13
Zeit, so wird aus diesen Überlegungen zu den chronometrisch-ästhetischen Systemen Reinthalers und Sackls ableitbar, lässt sich nicht als homogene Kette von Ereignissen oder als bloße Reihung von Zeitfenstern vergegenständlichen. Gerade aus ästhetisch-phänomenologischer Sicht lässt sich ein einheitlicher Begriff von Zeit nicht fassen. Stets jedoch ist sie - im Zeitbewusstsein und in der Zeiterfahrung - abhängig vom Verhältnis des Subjekts zu den Phänomenen und somit vom wahrnehmenden Bewusstsein nicht zu trennen. Sie ist, wie Luhmann schreibt, eine Dimension der Bestimmung von Sinn. Das besagt, daß im Ereignis sich nicht nur das Ereignis selbst ereignet, sondern daß sich im Maße seiner Relevanz zugleich eine Vergangenheit und eine Zukunft neu formieren."14
Zeit erscheint somit weder ontologisch gegeben - im Sinne einer externen objektivierbaren Realität", noch aber ist sie bloß soziales Konstrukt. Sie liegt vielmehr stets in der Konstellation, in der Interferenz und Divergenz unterschiedlicher Konzeptionen und Modalitäten des Zeitigens". Sie bleibt stets kontextuell zu verhandeln und in Beziehung zu setzen zur Gesellschaft, ihren in sozial-kommunikativer Evolution entwickelten Medientechniken, sowie zum je eigenen Erleben, das sich eben in dieser Polykontexualität entwirft. Zeit, so könnte man an dieser Stelle resümieren, konstelliert und konfiguriert sich unablässig und von Neuem, sie unterliegt darin stets selbst der Temporalisierung.
David Komary
1 Sören Kierkegaard: Die Wiederholung. Übers. von Günther Jungbluth. In: Sören Kierkegaard: Die Krankeit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst. Hg. v. Hermann Diem u. Walter Rest. München: dtv 2005. S. 351._2 Niklas Luhmann: Temporalisierung von Komplexität. Zur Semantik neuzeitlicher Zeitbegriffe. In: Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik: Studien zur Wissenssoziologie d. modernen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 1980. S. 280._3 Wolfgang Ernst: Das Rumoren der Archive. Berlin: Merve 2002. S. 50. _4 vgl. Helga Nowotny: Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989. _5 Niklas Luhmann: Temporalisierung von Komplexität. Zur Semantik neuzeitlicher Zeitbegriffe. a. a. O. S. 242. _6 Sören Kierkegaard: Die Wiederholung. a. a. O. S. 329. _7 vgl. Gerald J. Whitrow: Die Erfindung der Zeit. Übers. v. Doris Gerstner. Hamburg: Junius 1991. S. 198. _8 Dziga Vertov zit. nach Maurizio Lazzarato: Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus. Berlin: b_books 2002. S. 119. _9 Ebd. S. 119._10 Paul Virilio: Die Sehmaschine. Berlin: Merve 1997. S. 41. _11 Craig Owens: Posieren. In: Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters. Hg. v. Herta Wolf. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003. S. 113. _12 Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989. S. 92. _13 Lorenz Engell, Oliver Fahle: Film-Philosophie. In: Moderne Film-Theorie. Hg.: Jürgen Felix . Mainz: Theo Bender Verlag 2003. S.227. _14 Niklas Luhmann: Temporalisierung von Komplexität. Zur Semantik neuzeitlicher Zeitbegriffe. a. a. O. S. 242.
Vom Innen; von aussen
2006
Österreich
20 min 30 sek