tricolor
Es gehört zu den etablierten Techniken der Filmavantgarde, das Material des analogen Kinos nicht einfach in der Kamera zu belichten, sondern ganz direkt anzugreifen, es zu berühren und zu attackieren. In tricolor wird der Filmstreifen in diesem Sinne traktiert: einerseits Kader für Kader mit Glasfarben bemalt, andererseits zerkratzt, geritzt, kunstvoll verschlissen. Vorbeihuschende Flecken breiten sich wie Schimmelbefall in den Bildern aus. Minimale Verschmutzungen und Abnutzungserscheinungen werden in der Projektion monströs, gelbe und grüne Farbschlieren ziehen in jener atemlosen Geschwindigkeit vorbei, die dem Kino eigen ist (im kommerziellen Film aber konsequent verschleiert wird). Ein weißer Pfeil, ins monochrome Gelb gekratzt wie einst auch in den Werken Len Lyes oder Norman McLarens, weist nach unten, ins Off, weiße Linien tanzen auf schwarzem Grund. Der verfremdete Klang eines Filmprojektors wird mit „unheimlichen“ Geräuschen aus Natur und Technik verschnitten. Der Ton ist in dieser Arbeit dominant: Es dröhnt, pocht, klappert und zischt, selbst das Pfeifen des Winds könnte dem Soundtrack eines Horrorfilms entstammen. Und auch wenn Schwarz, Gelb und Grün anfangs noch zentral gesetzt sind: tricolor bietet mehr als nur diese drei Farben. Während der Film dunkler wird, mischen sich rote, später auch violette und blaue Farbtöne ein. Die Bläschen und Schlieren neben den Sollbruchstellen des Anstrichs erscheinen wie Details aus mikroskopierten Bildern. Unaufhörlich verwandelt sich der Film, findet zu immer neuen Materialmutationen, gewinnt dabei eine fast psychedelische Qualität. Gegen Ende hin beginnt das Bild zu flackern, grafisch feinere Strukturen werden zugeschaltet. Schließlich fällt abstrakter weißer Regen, der den schwarzen Kadern hart zusetzt – und bald Bildrisse produziert, die sich wie Einschusslöcher ausnehmen.
(Stefan Grissemann)
tricolor
2011
Österreich
7 min 30 sek