Parasit
Fast forward. Eine Kamera rast durch die Steinwüste Argentiniens auf einen Kaktus zu und stürzt sich durch eine Öffnung kopfüber ins Innere der Pflanze. Dort eröffnet sich dem Blick ein unheimliches Universum. Vibrierende Insektenflügel schlagen raschelnd aneinander, glitzern dabei giftig–schön und drehen sich aus einem Plastikflaschengewinde heraus. Dann verwandeln sie sich in kleine Sputniks mit zarten Antennen, die im Herzen des Kaktus klirrend umherschwirren, bis man in einen ihrer Hohlkörper eintaucht und eine Konservendose in der Raumtiefe des Bildes verschwindet.
In Nikki Schusters Stop–Motion–Animation Parasit gehen das Organische und das Anorganische, das Dokumentarische und die Animation leuchtende Mutationen ein. Zu Billy Roisz` experimentellem, schwelendem Soundtrack entfalten sich in der Tiefe von Bäumen und Felsspalten bizarre Mikrokosmen. Knisternd verbindet sich das Lebendige mit dem Toten, der Abfall mit der Pflanze und produziert hybride Plastikorganismen mit fantastischer DNA. Die Animation verhält sich dabei quasi parasitär zum Dokumentarischen, greift dessen Formationen auf und spinnt sie in nächtlichen Metamorphosen weiter. Wurzelartige Gebilde wuchern im Dunkeln, verwandeln sich in lange Haarsträhnen und wickeln sich mit schmatzenden Geräuschen um grüne, rote und gelbe Spiralenkörper. Das Haar, eine Materie, die gleichermaßen lebendig und tot ist, steht als Emblem für die Synthese vom Natürlichen mit dem Künstlichen: Wie die Zellen eines imaginären Körpers schweben Plastikringe und Zahnräder durcheinander, gruppieren sich zu Knochenstücken und Wirbeln, durchmischen sich mit Plastikanhängern und Gitterstücken. Zuletzt schrauben sich grüne Kappen wie kleine Ufos von oben nach unten durch das Bild, schaukeln wie Girlanden vor schwarzem Hintergrund, ehe sie im Dunkel verglimmen. Danach zieht sich die Kamera hastig wieder aus dem nächtlichen Gehäuse zurück ins Tageslicht – als hätte sie einen verbotenen Blick auf die Rückseite der Natur gemacht.
(Alexandra Seibel)
Aus den Weiten der Natur im argentinischen Nordwesten ins wesentliche Detail: in Steinritzen, Kakteen und Baumhöhlen. Dort flattern insektenartige Wesen, deren Flügelschläge sich mit steigender Frequenz in den Score von Billy Roisz einfügen. Doch entpuppt sich das „natürliche“ Artenspiel als gefakt: Was hier kreucht und fleucht, sind Hybride aus Müll und biologisch Gewachsenem, Mutanten, die Nikki Schuster in technischer Feinarbeit aus (an-)organischen Fundstücken zum Leben erweckt hat. Aus dem natürlichen Umfeld hinfort entführt die künstlich belebte Bio-Dingwelt in filmische Subräume – ins Leinwandschwarz, in dem sich die abstrakten Formenspiele intensivieren. Momente später wird der Blick zurück in die Realität entlassen. Ein neuer Kreislauf beginnt. (Diagonale Katalog 2013)
Parasit
2013
Deutschland, Österreich
8 min