Sie ist der andere Blick
"Dieses Machotum hier war gewaltig." Von den Künstlerinnen Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack und Margot Pilz könnte jede diesen Satz gesagt haben. Die Erinnerung an die Zeit der demütigenden Bevormundung eint die Frauen, die alle in den 1970er-Jahren Teil der Wiener Kunstszene waren. Filmemacherin Christiana Perschon lässt die zwischen 1936 und 1943 Geborenen in Sie ist der andere Blick erzählen: von männlicher Ignoranz und damit verbundener Unsichtbarkeit, vom Absprechen der Kreativität, vom Umstand, alles nur von Männern lernen zu können. Wenn die Künstlerinnen von sexuellen Übergriffen, von der Ohnmacht über patriarchale Strukturen in Gesellschaft und Familie, das Definiertwerden über die Rolle als Mutter und fehlende Autonomie berichten, blitzt hie und da noch alte Wut durch. Getragen ist der Dokumentarfilm jedoch vielmehr von der Leidenschaftlichkeit und Positivität seiner Protagonistinnen. Ihre Widerständigkeit fand letztlich in der österreichischen Frauenbewegung – in Initiativen wie der Aktion unabhängiger Frauen und dem feministischen Künstlerinnennetzwerk Intakt – ein fruchtbares Echo. Ermutigt vom Slogan der Frankfurter Schule "Das Private ist politisch" und bestärkt vom Kollektiv ähnlich denkender Frauen, fanden die Vorgestellten einst Mut, das, was ihnen unter den Nägeln brennt, in künstlerische Arbeiten zu übersetzen. Diesem Akt der Selbstermächtigung schenkt Christiana Perschon in Sie ist der andere Blick ein gestalterisches Äquivalent: Von der Künstlerin Iris Dostal grundierte weiße Leinwände dienen im Film als symbolische Plattform, als eine Bühne für Narration und Werk. Es entsteht ein wertschätzender Freiraum, in dem die Künstlerinnen als Kollaborateurinnen der Regisseurin eingeladen sind, sich und ihre Arbeiten zu präsentieren und zu inszenieren. (Anne Katrin Feßler)
Es ist immer Gegenwart. Jede Begegnung mit einem Bild, jede Interaktion mit einem Menschen ist eine Augenblickserfahrung und sucht nach einer eigenen Form. Sehen kann durch den Blick der Anderen zu einer Begegnung werden. Stumme Sequenzen, mit einer 16mm-Bolex-Kamera gedreht, sensibilisieren zu Beginn des Films für das, was zwischen Künstlerin und Bildträger stattfindet. Die von der Künstlerin Iris Dostal weiß grundierten Malerleinwände schaffen Projektionsflächen für die Narration im Prolog, der den Bogen zwischen der gegenwärtigen Künstlerinnengeneration und deren Wegbereiterinnen spannt. Der Film geht von dem Moment aus, in dem Beobachtung, Erfahrung und Vorstellungskraft auf einen Bildträger treffen: Sei es eine grundierte Leinwand oder die lichtempfindliche Emulsion von analogem Film. Sie ist der andere Blick ist eine Kollaboration mit Künstlerinnen einer älteren Generation, die in den 1970er-Jahren Teil der Wiener Kunstszene sind und sich in der Frauenbewegung engagieren. Treffpunkt für den Dialog mit den Künstlerinnen – Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack und Margot Pilz – ist mein Atelier: ein Dazwischen-Sehen, bei dem Gedanken über Selbstbestimmtheit und Selbstverständnis im Werdegang der Künstlerinnen geteilt und ihre künstlerischen Arbeiten durch den Kamerablick in Bewegung versetzt werden. Die Protagonistinnen, die in ihrer Vorreiterinnenrolle die zeitgenössische Kunst und das Selbstverständnis von Künstlerinnen in der Gegenwart prägen, erzählen über künstlerische Ambitionen, wirtschaftliche Zwänge, Angepasstheit und Widerständigkeit gegen die vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Mit ihren Stimmen und (frühen) Werken werden die Künstlerinnen selbst zu Bildträgerinnen einer feministisch-künstlerischen Haltung. (Produktion)
Sie ist der andere Blick
2018
Österreich
90 min