Die Revolution frisst ihre Kinder!
Dem Spielfilm Die Revolution frisst ihre Kinder! geht eine gleichnamige Theaterproduktion voraus, die Regisseur Jan-Christoph Gockel 2018 am Schauspielhaus Graz inszeniert hat und in die Filmsequenzen vom Dreh in Burkina Faso bereits integriert waren. In der eigens für die Leinwand erarbeiteten Version plant eine Regisseurin (Julia Gräfner) Georg Büchners Revolutionsdrama Dantons Tod in Ouagadougou mit Marionetten zur Aufführung bringen. Den zentralen Gedanken des Revolutionsdramas, nämlich die Aushöhlung und Kannibalisierung von Reformideen, überträgt Gockel durch den Transfer nach Afrika in einen postkolonialen Diskurs. Er fragt, inwiefern Büchners Stück (samt seinem aufklärerischen Postulat) aus Europa in ein von einem autokratischen Machthaber regiertes Land wie Burkina Faso importiert werden kann. Und warum diese gönnerhafte Geste scheitern muss.
Das Grazer Ensemble reist also nach Ouagadougou und überbringt der Burkinabè-Bevölkerung die Rezeptur für die Revolution. Die Geschichte von Danton und seinem Widersacher Robespierre soll sich in den beiden echten afrikanischen Revolutionshelden Blaise Compaoré und Thomas Sankara spiegeln. Letzterer verlor den Machtkampf und wurde 1987 im Putsch ermordet.
In Mockumentary-Manier spielt Die Revolution frisst ihre Kinder! auf mehreren Ebenen mit imaginierter Realität und wandelt absichtlich uneindeutig zwischen Fake (Regisseurin, Schauspieler, Plot) und realem Dokument (Straßenbilder Ouagadougou, Interviews mit Mitgliedern der Sankara-Familie oder örtlichen Künstlern). Als es vor Ort tatsächlich zu Demonstrationen kommt, bezieht die Regisseurin alles auf sich und ihre Kunst. Gockel macht sie als Repräsentantin einer neokolonialen Sichtweise kenntlich, die auf einem uneingestandenen, hegemonialen Selbstverständnis beruht. (Margarete Affenzeller)
Nach einem ersten Straßenauftritt in Ouagadougou verwirft Gräfner ihr ursprüngliches Konzept, das Ensemble stürzt in eine tiefe Krise. Bis Puppenspieler Michael Pietsch mit Marionettenbauern vor Ort eine Thomas-Sankara-Figur anfertigt. Als er damit durch die Straßen wandert, leitet er ganz nebenbei den Aufstand ein, und Gräfner verfällt in einen inszenatorischen Wahn. Als die Proteste in Ouagadougou schließlich ihren Höhepunkt erreichen, kulminiert ihr Narzissmus. In ihrer Unfähigkeit, sich einmal nicht im Zentrum des Geschehens zu sehen, schreibt sie (die Europäerin) bereits die Geschichte: Diese Revolution ist ihr Verdienst. Doch dann werden die Landesgrenzen geschlossen, die Truppe sitzt fest. Längst sind Gräfners Begleiter/innen ihr nicht mehr wohlgesonnen. Es kommt zum Showdown. (Alexandra Zawia, Diagonale 2020)
Die Revolution frisst ihre Kinder!
2020
Burkina Faso, Österreich
73 min
Spielfilm, Hybrid
Deutsch, Französisch, Mòoré
Englisch, Deutsch, Französisch