Gesellschaftsspiele
Spiele sind gemeinhin durch Übereinkünfte definiert – Regeln, in deren Rahmen bestimmte Freiheitsgrade, aber auch unumgehbare Zwänge herrschen. Viele dieser Konventionen sind nicht explizit als solche ausgewiesen, etwa mit wie viel Ernsthaftigkeit oder innerer Distanz man bei der Sache zu sein hat. Schon gar nicht legt ein Spiel fest, welche genaueren (individuellen, sozialen etc.) Eigenschaften die TeilnehmerInnen aufzuweisen haben, um mit von der Partie zu sein. Umso mehr verblüfft es, dass wir in Borjana Ventzislavovas Gesellschaftsspiele / Real Games gestandene Erwachsene in Spielzusammenhängen sehen, die wir gemeinhin als Kindereien abtun. Fünf solcher Kontexte mit bewusst deplatziert oder „fehlbesetzt“ wirkenden SpielerInnen breitet der Film in geschickter Montage aus bzw. verzahnt sie so ineinander, dass wir Zeugen einer frappierenden Verfremdung werden. Die augenzwinkernd vorgetragenen Abzählreime zu Beginn sind nur ein sanfter Vorbote auf das bierernste Abschießspiel mit Blasrohrpfeilen, das eine Gruppe soignierter Herren und Damen im Betonpfeiler-Fundament eines gewaltigen Rohbaus vollführt. Um nichts weniger doppelbödig das Räuber- und Gendarm-Spiel, dem sich ausgewachsene AnzugträgerInnen rund um ein monumentales Denkmal in Sofia hingeben. Und ebenfalls nicht von schlechten Eltern der akrobatische Gummitwist, dem drei adrett gekleidete Frauen in einem stillgelegten Schulinnenhof frönen. Gänzlich enigmatisch dagegen eine Gruppe nur mit Unterwäsche Bekleideter, die rund um eine Quarzlampenskulptur im einzigen Innenraum des Films einem seltsamen Ritual nachgehen – bis sich herausstellt, dass sie nichts (oder vielleicht etwas gänzlich) anderes als ein simples „Ringelreia“-Spiel im Sinn hatten. Die Verklärung und gleichzeitige Demaskierung, die der Film vornimmt, wirkt doppelt: zum einen als Kenntlichmachung, dass selbst bei den lockersten Aktivitäten stets eine Art Rollenspiel vorherrscht; zum anderen – vielleicht noch ernüchternder – dass dessen symbolischer Rahmen jeder auch noch so gewieften Unterwanderung standhält. Wobei Freiheit und Zwang mitunter sogar auf ein und dasselbe hinauslaufen. Nicht zuletzt darauf zielt das „Reale“, also gleichsam Uneinholbare dieser entlarvenden und zugleich höchst rätselhaften Spiele. (Christian Höller)
Gesellschaftsspiele
2020
Österreich, Bulgarien
16 min