Zwischennutzung
Der Wiener Zentralbahnhof mitsamt seinen monochromen Bürogebäuden und Apartmentblöcken im Sonnwendviertel kommt in Zwischennutzung von Dariusz Kowalski nur nebenbei als eine Kulisse ins Bild, vor der die Jugend aus Favoriten Fußball spielt. Statt um Stadtentwicklung vom Reißbrett geht es in dem Dokumentarfilm um wild gewachsene Strukturen: um ein Dazwischen, eine Nische, die gut versteckt im Niemandsland zwischen Stadtautobahn und Industriestandorten liegt. Dort steht die ehemalige Fleischfabrik, die für eine bunte Truppe aus Unternehmern und Kreativen filetiert wurde. Der Probenraum einer beherzten Growl-Metal-Band ist darunter oder das Atelier des Konzeptkünstlers Fabio Zolly, eines Bekannten des Filmemachers.
Ein Geflecht aus Interessen und Perspektiven, so vielfältig, wie sie in Wien nur selten anschaulich werden. Zolly erinnerte das Gelände mit Blick auf den Durchzugsverkehr an seine Zeit in Brooklyn, weshalb er sich hier gleich wohl fühlte; andere wie einen libanesischen Lebensmittelhändler oder die Betreiber von Autowerkstätten hat der Zufall hier her verschlagen. Aus vielen unterschiedlichen Ländern, wohlgemerkt, weshalb Kowalskis umsichtiges Porträt dieses Ortes auch ein Stück Migrationsgeschichte verdichtet. Was der Immobilienmakler, dem das Grundstück gehört, einmal als „Nachhaltigkeit in der Verwertung“ bezeichnet, wird hier in Handgriffen konkret: Teppiche werden gewaschen, Autos in Stand gebracht, selbst ein Künstler „übermalt“ ein früheres Bild, will aber die darunter liegenden Texturen bewahren.
Kowalskis Film hat eine vergleichbare Ausrichtung. Zwischennutzung kommt einer Anklage von Gentrifizierung, wie sie etwa Su Friedrichs Gut Renovation leistet, zuvor. Er möchte den Charme eines Dauerprovisoriums bewahren, der sich vielleicht erst auf den zweiten Blick erschließt. Keine aufgesetzte Dramatik stört die gelassene Montage aus Momentaufnahmen, eher leitet sie hintersinniger Humor. Der streunende Hund Lomo hält das Album zusammen, ein Anflug von Melancholie ist unvermeidlich. Obwohl der erste Satz des Films so wienerisch „Es ist wurscht“ lautet: Gar nicht wurscht, wenn solche Orte verschwinden. (Dominik Kamalzadeh)
Zwischennutzung
2022
Österreich
95 min