Patterns Against Workers

In einem nächtlichen Raum ist die Kamera auf den Screen eines Smartphones gerichtet. Eine Hand swipet und scrollt, entsprechend den vertikalen und horizontalen Relationen eines textilen Gewebes, durch gespeicherte und digital aufrufbare Bilder und Videosequenzen, die den gesprochenen Text begleiten. Wie die Kamera mit ihrem optischen Auge im dunklen Raum die Oberfläche eines Bettbezugs abfährt, nimmt sie im elektrischen Licht einer Bettwarenfabrik Körperpartien von Arbeiter*innen auf. Meter für Meter führen sie in immer gleichen, festgelegten Bewegungen textiles Material der Nähmaschine zu. Wie die Zeit des Films von einer Uhr gezählt wird, läuft die Produktion in den Fabriken Tag und Nacht....

Der Film-Essay reflektiert den Umbruch von der Entwicklung der Strukturen (Patterns) von Hand gewebter Textilien zur industriellen Textil-Produktion, die auf computergesteuerten Organisationsstrukturen (Patterns) beruht und der Logik der Massenproduktion folgt. Waren die handgewebten Stoffe und Stoffmuster (Patterns) der Bauhausweberinnen noch das Ergebnis von gemeinsamen Experimenten mit Material, Farbe, Bindung, um lebendige haptische und optische Wirkungen zu entwickeln und war der Hand-Webstuhl das Instrument der Weber*in, wurden mit der Einführung programmierbarer Webstühle jegliche textilen Muster in kürzester Zeit webbar, berechenbar, wieder abrufbar.

Der orchestrierte Takt der Maschinen, deren Vibration, Rhythmus und Geräusche sich in die Körper eindrücken, verfolgt die Arbeiter*innen selbst in den Schlaf. Das numerische Denken, das der Konstruktion eines Textils zugrunde liegt, wurde übernommen, um Rechenmaschinen zu entwickeln, welche nun der Kalkulation, Überwachung und Optimierung von Produktionsabläufen dienen. Ein Netz von Fabriken und Informationsflüssen überzieht die Erdoberfläche.

PATTERNS AGAINST WORKERS verwebt Text- und Bildebene und reflektiert sich als Medium selbst, indem er sein Augenmerk auf das Haptische (als ein Hauptmerkmal des Textils) und auf die Berührung der Hände mit Oberflächen legt, wohl wissend, dass seine technische Optik und digitale Aufnahmetechnik selbst der Entwicklung der Informationstechnologie entstammt. (Ulla Rossek)

Weitere Texte

Preis der Stadt Duisburg / Filmwoche 2023 - Jury Begründung (Preis (Auszeichnung))

Duisbuger Filmwoche 2023
Preis der Stadt Duisburg für kurzen und Mittellangen Dokumentarfilm

Arbeiterinnen, die auf die Sekunde genau wissen, wie lange sie auf ihren ergonomisch eingerichteten Arbeitsplätzen zum Nähen einer Decke brauchen. Ein bloß von Händen repräsentierter Körper, der sich auf einer solchen Decke mittels schwarzem Bildschirm in den insomnischen Zwischenraum träumt. Hier werden von der linearen Zeit losgelöste visuelle und gedankliche Verknüpfungen zwischen präkeramischer Vorgeschichte, den Erfindungen von Webstuhl, Computerschaltplatte, ausbeuterischer Landschaftsnutzung und dem Aufbau einer Fabrik gezogen, die auch einem mit Schmerztabletten gefüllten Verkaufsautomaten ein Stück des knapp bemessenen Platzes zugesteht.
Mit konterintuitiven filmischen Techniken und einer Voice-over Stimme irgendwo zwischen Meditationsanleitung und Innerem Monolog einer Schlaflosen, führt uns Olena Newkryta mit „Patterns Against Workers“ auf eine Ebene, in der Zusammenhänge verständlich gemacht werden, die in einer klassischen, auf Akkumulation basierenden Wissensvermittlung kaum erreichbar wären. Auf diese Weise erschließt sich etwa der direkte Weg von den maschinell lesbaren Webmustern des Textilkapitalismus im 19. Jahrhundert zu den unterdrückenden, lebensfeindlichen aber größ tenteils unbewussten Anweisungsmustern der Gegenwart. Dem Umstand, dass dieser Weg natürlich nicht geradeaus verlaufen kann, trägt der Film durch meditative, assoziative und auch haptische Vorgehensweisen Rechnung, welche die Filmerfahrung zu einer intellektuellen wie auch dezidiert körperlichen Erfahrung machen. Ungewohnt, teilweise unheimlich aber nie unangenehm.
Wenn all dies paradox klingt, dann weil sich gewisse Muster nur auf eine Weise erkennen lassen, die genau diese Muster durchbricht. Der Filmessay verbindet die gänzlich unterschiedlichen Texturen von Handybildschirmen und gewebten Produkten auf eine taktil beinahe spürbare Weise. Dass sich all dies auf einem weiteren, ursprünglich mal gewebten Oberfläche, nämlich der Kinoleinwand abspielt, ist auf poetische Weise folgerichtig.
In einer gleichzeitig beunruhigenden und optimistischen Coda zeigt die Filmemacherin einerseits, wie sich die immer effizienteren Codes oder Patterns der Industrie längst in unsere Körper eingeschrieben haben, aber auch, dass diese Körper immer noch fähig sind, diese Codes auf eine unproduktive aber gewinnbringende Weise umzudeuten und zu etwas Schönem zu formen. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Jury: Özge Inan, Lukas Marxt, Dominic Schmid

Orig. Titel
Patterns Against Workers
Jahr
2023
Land
Österreich
Länge
34 min
Kategorie
Experimental, Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Englisch
Untertitel
Englisch, Deutsch
Credits
Regie
Olena Newkryta
Konzept & Realisation
Olena Newkryta
Sound Design
Sara Pinheiro
Farbkorrektur
Susi Dollnig
Zusätzliche Kamera
Marianne Borowiec
Stimme
Miriam Stoney
Mit Unterstützung von
Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport / Federal Ministry for Arts, Culture, the Civil Service and Sport, Land Oberösterreich Kunst und Kultur
mit
Oksana Danielova, Haseda Golubovic, Ayse Kaya, Regina Kiesenhofer, Mira Klug, Ingeborg Stummer
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Festivals (Auswahl)
2023
Duisburg - Duisburger Filmwoche (Preis der Stadt Duisburg für kurzen und mittellangen Dokumentarfilm)
Singapore International Film Festival
2024
Madrid - PROYECTOR Video-Art-Festival (Hertzog Da Silva Prize: 2. Preis)
Hamburg - Dokumentarfilmwoche