YARÊ
Die Sonne steht schon hoch am Himmel als Yarê von ihrer Mutter geweckt wird. Wenigstens sind die Bauchschmerzen weg, die das Mädchen geplagt haben. Schuld daran war abgestandenes Wasser, das sie getrunken hat. Denn Wasser ist knapp in der dünn besiedelten Wüstenei zwischen Nordsyrien – Kurdistan, Rojava – und der Türkei. Es wird gehandelt wie ein Luxusgut, mitunter verdoppelt sich der Preis im Geschäft von einem Tag auf den anderen.
Yarê hat ihren eigenen Kopf. Ganz Teenager – in Jeans und Barbie-T-Shirt –begleitet sie ihre Mutter zur Wasserverteilstelle, vor der bereits etliche Menschen warten. „UN“ steht auf einem Tank, der so leer ist wie die Versprechungen der Völkergemeinschaft auf humanitäre Hilfe. Die Hauptleitung ist seit Monaten unterbrochen, aber die Türken reparieren sie nicht. „Sie wollen, dass wir sterben“, ist einer der vergebens hier Wartenden überzeugt.
Vor diesem ernsten Hintergrund, der seit Jahren herrschenden Diskriminierung der kurdischen Bevölkerung, erzählt Sallar Othman von der Heldinnenreise eines selbstbewussten Mädchens. Kurzentschlossen macht sich Yarê mit einem Plastikfass auf den Weg ins nächste Dorf. Fährt unbemerkt ein Stück weit als blinde Passagierin auf dem Pferdekarren eines mürrischen Alten mit. Und wird tatsächlich frisches Wasser bekommen. Doch wie soll sie die volle 200-Liter-Tonne jetzt nach Hause schaffen?
Ob es ein Happy-End geben wird, bleibt lange ungewiss. Yarê hat keine Chance, aber sie nutzt sie. In der Art und Weise, wie sie das tut, findet der Film seine stärksten, bewegendsten Momente: Eine moderne, weibliche Variation auf den Mythos des Sisyphos, der sich mit Leibeskräften gegen das Schicksal stemmt. (Michael Omasta)
YARÊ
2024
Österreich
19 min