AIR LIQUIDE

Flirrende Schwarz-Weiß-Aufnahmen schwankender Äste überlagern sich mit porösen Super-8-Bildern eines endlosen Highways. Ein grelles Licht verschlingt die Bilder. Im Gegenlicht tanzen Silhouetten in Slow Motion, bis sich die kreisende Discokugel in einen rotierenden Wassersprinkler verwandelt und die Moving Lights über der Tanzfläche plötzlich wie eine gleißende Sonne über die Autobahn strahlen.

Lotte Schreibers Musikvideo zu „Air Liquide“ aus dem aktuellen Album GRAIN von Innode (Edition Mego 2024) verfolgt einen schwebenden Modus, in dem die Bilder konstant ineinandergreifen. Vorbeiziehende Autobahnbrücken werden miteinander verzweigt und führen zu leergefegten Basketball-Courts; die Gischt der Wellen zerfällt über den Händen am Schlagzeug.

Die körnige Textur der Super-8-Aufnahmen bindet disparate Orte und Zeiten zusammen: der Blick durch die Windschutzscheibe im Jahr 1996 auf die Straßen von Los Angeles, Felsformationen, eine Tanzfläche, ein Proberaum – all diese flüchtigen Erinnerungsbilder verschalten sich.

Immer wieder findet Schreiber in der Montage visuelle Entsprechungen für die Klänge, stellt Synchroneffekte zwischen Bild und Sound her. Wenn die zersetzten Synths ihr Tempo anziehen und der hypnotisch rhythmisierte Sound disruptiver wird, flattern im gleichen Takt die Rotorblätter eines Hubschraubers, und die Stabilität der Kamera gerät ins Wanken. Ein hoher, anhaltender Ton ergänzt die Komposition und lenkt den Blick auf die langgezogenen Linien der Autobahngeländer.

Die Musik von Innode – Bernhard Breuer, Steven Hess und Stefan Németh – folgt einem Prinzip der Überlagerung: Klangschichten werden übereinandergelegt, der Prozess selbst wird zum kompositorischen Zentrum. Schreibers Montage überführt dieses Prinzip in Bilder, die sich ständig reorganisieren: Wiederkehrende Elemente werden umstrukturiert und scheinbar Disparates assoziativ in Verbindung gebracht.

Wenn die dichte Soundarchitektur schließlich in eine entfernte, dumpf prasselnde Klangkomposition abebbt, verlieren auch die Bilder an Kontur – sie werden schemenhaft, verändern ihren Aggregatzustand, verflüssigen sich. (Charlie Bendisch)