Knittelfeld - Stadt ohne Geschichte
Die Provinz als Ort des Grauens hat in der österreichischen Literatur eine lange Tradition, während im Kino die Idyllik des Heimatfilms noch immer weitgehend unwidersprochen geblieben ist. Gerhard Benedikt Friedls Knittelfeld - Stadt ohne Geschichte setzt sich von der Heimatfilmtradition in mehrfacher Hinsicht ab: Durch die Wahl des Gegenstands, einer Kleinstadt in einer unauffälligen, landschaftliche keineswegs besonders erbaulichen oder erhabenen Gegend; durch die Form der Erzählung, die das Fiktive und das Dokumentarische vermischt, dabei aber die Bild- von der Tonebene tendenziell abstehen läßt. Die von Rudolf Barmettler geführte Kamera vermißt in ruhigen Schwenks oder starren Einstellungen das Territorium von Knittelfeld, wobei sich die Kleinstadt als Wildwuchs zu erkennen gibt, in den die öffentliche Verwaltung ein Minimum an Ordnung bringt: Ampeln, Verkehrszeichen, Feuerwehr und Rettung. Dazu die Orte des öffentlichen Lebens: Gasthöfe, Einkaufszentren, Parkplätze, Schulen und an markanter Stelle der Militärflughafen, mit dem man in Österreich diese Region gemeinhin assoziiert. In dieses wenig spezifische Ambiente schreibt Friedl eine Geschichte ein, die sich von der Struktur her durchaus als Seifenoper begreifen läßt, von ihren Inhalten her aber ständig ins Barbarische hinüberreicht: Mitglieder einer Familie Pritz, von der im Lauf des Films eine komplizierte Genealogie entworfen wird, verüben Verbrechen verschiedenster Art und Ausmaße. Männer werden erschlagen, weil sie Spielschulden nicht begleichen; Kinder werden mißhandelt und ausgesetzt; Werkzeug wird gestohlen und vergraben; Ehemänner werden in Serie unter die Erde gebracht. Die tatsächlichen Tatbestände und die öffentliche Meinung darüber beginnen sich zu überlagern, faktische Wahrheit und deren Gehalt fallen auseinander, und so verhält es sich mit diesem Film, der nicht die Geschichte der Stadt Knittelfeld schreibt, sondern die Geschichte einer Stadt wie Knittelfeld: Das Historische findet auf den Seiten des Chronik-Ressorts statt.
(Bert Rebhandl)
Knittelfeld - Stadt ohne Geschichte
1997
Österreich, Deutschland
35 min